Es war einmal: Die Wissertalbahn

Der neu erbaute Regio-Bahnhof wurde im November 2006 seiner Bestimmung übergeben und schmückt seitdem das Ortsbild von Wissen. Die Züge, die hier halten oder auch durchfahren, verkehren auf der Siegstrecke von Köln nach Siegen und weiter nach Gießen und Frankfurt oder nach Hagen und ins Ruhrgebiet und umgekehrt. Es gab aber eine Zeit, da war Wissen nicht nur ein Durchgangsbahnhof. Es zweigte von hier eine Bahnlinie ab, die den Weg nach Morsbach nahm, in späteren Jahren weiter durchs Oberbergische und bis ins Ruhrgebiet führte.Wolberzuch_4

Die Rede ist von der Wissertalbahn, deren Bahndamm größtenteils entlang des Wisserbaches von Wissen bis Morsbach verlief. Knapp eine Millionen Mark hat der Bau der 11,1 Kilometer langen Strecke gekostet, die am 1. Oktober 1890 eröffnet wurde. Mit einer Länge von 6,1 Kilometer erstreckte sich die Bahn auf dem Gebiet des Kreises Altenkirchen und mit 5 Kilometer auf dem des damaligen Kreises Waldbröl.

Größere Baumaßnahmen waren der Bau der Brücke in Wissen über die Sieg und der Tunnel bei Niederstenhof. Die Siegbrücke, eine Eisenträgerkonstruktion, wurde 1888 und der Tunnel mit 60 Meter Länge 1889 fertiggestellt. Wolberzuch_2Einige kleinere Stahlblechbrücken mussten als Querung über den Wisserbach gebaut werden. Als Bahndamm wurde zum Teil die parallel verlaufende Straße benutzt. Auf dem Hoheitsgebiet des Kreises Altenkirchen befanden sich die Haltestellen Niederstenhof, der Bahnhof Wisserhof und der Bahnhof in Wissen mit einer Lokstation, bei der die Tenderloks, die auf der Strecke verkehrten, gewartet und versorgt wurden.Wolberzuch_3

An Werktagen verkehrten zunächst sechs, später sieben Züge auf der Strecke. Die Loks zogen zur einen Hälfte Personen- und zur anderen Hälfte Güterwagen. Das Transportgut bestand größtenteils aus Erz von den Gruben Eisenhardt und Geyersecke und Holz aus den Wäldern um Wisserhof. Bei der Bevölkerung hatte die Bahn aber einen besonderen Namen erhalten und das wegen eines besonderen Transportproduktes. Vornehmlich zur Herbstzeit, wurden Waldbeeren, die zahlreich in den Wäldern entlang der Strecke wuchsen, in Körben gesammelt, auf die Waggons verladen und nach Wissen zum Verkauf gebracht. Und so war schnell ein Name für den Zug gefunden. „De Wolberzuch oder dat Wolberbähnchen“ (Waldbeerenzug) wurde er liebvoll von den Menschen der Region genannt. Der Name stand aber auch für die geringe Geschwindigkeit, mit der die Bahn fuhr. Während der Fahrt hätte man durchaus noch abspringen und nebenbei Waldbeeren pflücken können.

Durch die Erweiterung der Bahnstrecke von Morsbach nach Hermersdorf, die am 1. Oktober 1908 fertiggestellt und eröffnet worden war, bestand die Möglichkeit durch eine Verbindung über Osberghausen, von der Sieg bis an die Ruhr zu gelangen. Diese, eigentlich eine Nebenstrecke, kam zur Zeit der Besetzung des Ruhrgebietes nach dem Ersten Weltkrieg in den Jahren 1923/24 zu enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Die geförderte Kohle konnte nicht durch das besetzte Rheinland und Köln transportiert werden. Daher fuhren die Züge über diese Nebenstrecke bis Waldbröl. Dort wurden sie in drei Teile aufgeteilt und fuhren dann durch das Wisserbachtal nach Wissen, wo sie wieder zu einem Zug zusammengestellt wurden. Über die Siegstrecke gelangte so die Kohle, wenn auch über Umwegen, dennoch zu ihren Bestimmungsorten.Wolberzuch_1

Trotz mancher Einschränkungen, bedingt durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg, fuhr die Bahn ohne größere Zwischen- und Unfälle bis zum März 1945.

Das vorläufige Ende der Strecke erfolgte am 19. März 1945, fast gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Beim Tunnel in der Nähe des Bahnhofs Volperhausen (damals Kreis Waldbröl, heute Oberbergischer Kreis), stand ein Zug, getarnt unter Bäumen. Er soll angeblich mit V1- und V2-Munition und mit deren Rakten oder zumindest aber mit Raketenteilen beladen gewesen sein. Flugzeuge der Alliierten entdeckten den Zug, warfen Bomben und zerstörten nicht nur den Zug, sondern gleichzeitig auch die Gleisanlage und richteten großen Schaden in der näheren Umgebung an. Den Rest der Bahnstrecke zerstörten deutsche Pioniere auf dem Rückzug in den letzten Kriegstagen, besonders durch die Sprengung der Siegbrücke in Wissen, über die der Zug fuhr.
Recherchen ergaben, dass es starke Differenzen und Auseinandersetzungen zwischen den Pionieren der Wehrmacht und SS-Leuten gegeben hat, was die Sprengung der Brücke betraf. Die Pioniere waren gegen eine Sprengung der Brücke. Unter Androhung von standrechtlicher Erschießung wurde sie dann doch gesprengt. Die Soldaten zogen sich weiter in den Bereich „In der Bornscheidt“ zurück. Einige von ihnen verloren dort bei starkem Beschuss durch die vorrückenden alliierten Truppen ihr Leben. Andere gerieten Tage später weiter siegaufwärts in Gefangenschaft und kamen nach Frankreich in Gefangenenlager.

Nach dem Krieg waren Bestrebungen im Gange, sowohl von Morsbacher als auch von Wissener Seite aus, die Bahnlinie wieder instand setzten zu wollen. Dies scheiterte aber letztlich an den zu hohen Kosten für die Wiederherstellung der Gleisanlage und den Wiederaufbau der Siegbrücke in Wissen. 1958 erfolgte durch einen Verwaltungsakt die endgültige Stilllegung der Strecke.

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Der stehen gebliebene Brückenpfeiler in der Mitte der Sieg wurde 1973 gesprengt.
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Die Fragmente des Brückenpfeilers auf der Alserberger Seite in Wissen sind mittlerweile von Bäumen und Sträuchern überwachsen und so erinnert kaum noch eine sichtbare Erinnerung an das Wolberbähnchen.

Zur Historie der Wissertalbahn

Am 1. August 1860 war die Strecke von Köln (Deutz) bis Wissen fertiggestellt und ihrer Bestimmung übergeben worden. Mit der Eröffnung der kompletten Strecke Köln(Deutz)—Gießen, am 12. Januar 1862, gab es Bestrebungen der im Bereich der Bahnstrecke liegenden Orte sowie der allmählich aufstrebenden Industriebetriebe, Anschlussbahnen zu bauen. Eben solche wirtschaftlichen Interessen waren es, die in Wissen in Verbindung mit Morsbach, zur Gründung eines Eisenbahn-Komitees im Jahre 1868 führten. Das Komitee war um eine Verbindung bemüht, die von Wiesbaden über Wissen nach Rothemühle führen sollte, von dort mit Anschluss nach Finnentrop und weiter ins Ruhrgebiet. Schon ein Jahr nach der Gründung des Komitees hatten die Vermessungsarbeiten im Gebiet zwischen Wissen und Rothemühle begonnen. Durch den favorisierten Bau der Linie Kirchen–Freudenberg–Olpe scheiterte allerdings das Unternehmen. Auf Vorschlag des Landrates von Waldbröl (1883) sollte überprüft werden, ob eine Nebenbahn von Wissen nach Morsbach umsetzbar wäre. Bereits im Frühjahr 1884 erging ein Erlass des Ministeriums für öffentliche Arbeiten, das den Bau der Strecke Wissen–Morsbach befürwortete. Nach einem weiteren Erlass wenige Wochen später, begaben sich die Bürgermeister von Wissen und Morsbach auf den Weg nach Berlin, um die Notwendigkeit des Baus der Bahnstrecke nochmals zu unterstreichen. Ein Befürworter dieser Angelegenheit war der in Berlin tätige Staatssekretär und Staatsminister Graf Paul von Hatzfeldt, Bruder des Fürsten Alfred von Hatzfeldt Wildenburg-Schönstein, bei dem die Abgesandten beider Gemeinden vorher nochmals ihr Anliegen vortrugen, bevor sie mit ihrem Vorhaben beim zuständigen Ministerium vorsprachen. Dem Bau der Bahnlinie wurde stattgegeben, nicht zuletzt auch, um der wirtschaftlich nicht günstigen Lage der 1880er-Jahre in unserer Region einen Antrieb zu geben. Begonnen wurde mit dem Bau 1887.

Wolberzuch_5Das Eisenbahn-Komitee wollte unter Vorlage eines weiteren Planes erreichen, die Bahnlinie bis Rothemühle zu verlängern. Dieses Vorhaben wurde aber bis zur Inbetriebnahme und dem Rentabilitätsnachweis der Strecke Wissen–Morsbach zurückgestellt. Die Verbindung nach Rothemühle ist später über eine andere Streckenführung hergestellt worden.


FOTOS: Archiv F. Ludwig Passerah, Archiv PENs-Journal

 

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Paul Eberhard Nilius, Jahrgang 1950, ist gelernter Schriftsetzer und seit einigen Jahren als Journalist und Fotograf tätig. Seine Leidenschaft ist die Musik.