Wesser Fastowend in früherer Zeit

Für diss Johr ens vür wek. Et ess wie et ess: Och en düsem Johr fällt de Fastowend ous. De Corona-Pandemie vermasselt enem jo fast alles. Na ja, wat well me machen. Trösten me ous domet un werfen me mol en Bleck en de Vergangenhejt, wie dat domols su wor.

Im Jahre 1956 wurde 100 Jahre Wesser Fastowend gefeiert

Schon seit 1856 verzeichnet man, besonders in der Altstadt, aber auch im Ortskern von Wissen bis zum Verbot 1937 durch die Nationalsozialisten, karnevalistische Aktivitäten. Nach dem Krieg wird seit 1949 wieder Karneval in Wissen gefeiert. Einen ungeahnten Zuspruch erreichte der Wesser Fastowend bei der Bevölkerung in den darauf folgenden Jahren. Das Jubiläum „Hundert Jahre Wesser Fastowend“ im Jahre 1956 rückte immer näher und das galt es groß zu feiern. War doch Wissen mittlerweile zur karnevalistischen Hochburg an der mittleren Sieg geworden.

Die Vorbereitungen für das Jubiläum waren schon seit 1955 voll im Gange. In den Köpfen des Vorstandes der Wissener Karnevalsgesellschaft (KG) reift der Gedanke, zu diesem Anlass eine Prinzengarde zu gründen. Sechs junge Männern, Alex Taditsch, Walter Kornapp, Hermann-Josef Brück, Heribert Ebach, Hans Wienand und Manfred Knopp nebst Kommandanten Alfred Kesselheim, waren die auserwählten denen Schneidermeister und Elferratsmitglied Otto Willmeroth die passenden Uniformen nähte. Sie waren den führenden Personen im Wesser Fastowend nicht unbekannt und dem karnevalistischen Brauchtum nicht abgeneigt. Unter der Anleitung von Horst Neutsch, damals Kapellmeister der Wissener Feuerwehrkapelle, später auch Präsident der Wissener KG und seiner Frau Ria, studierten die sechs hoch motiviert auf die Melodie des Marschliedes „Rheinlandmädel“ ihren Gardetanz ein.

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Prinz Heinz Josef I. Bender mit der neu gegründeten Prinzengarde

Von nun an stand dem Prinzen bei seinen Auftritten neben Elferrat auch die Prinzengarde zur Seite. Sie wurde zu einem Hingucker und einer Bereicherung im Wesser Fastowend. Im Laufe der Jahre allerdings gab es hin und wieder leichte Veränderungen bei der Besetzung der Prinzengarde.

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Ursula Ehlgen, Funkenmariechen der neu gegründeten Prinzengarde 1956.

Die neu gegründete Prinzengarde stand für die Jubiläumssession parat, was fehlte, war ein Funkenmariechen. Kurzerhand hatte Hubi Deipenbrock, der damalige Präsident der Wissener Karnevalsgesellschaft, Ursula Ehlgen gefragt: „Wellst‘ de net et Funkenmariechen machen?“ Nach einem Gespräch und einer kurzen Bedenkzeit sagte sie dann zu. So wurde Ursula Ehlgen das Funkenmariechen der neu gegründeten Prinzengarde im Jubiläumsjahr 1956.

Die Jubiläums-Prunksitzung wurde zu einem grandiosen Stimmungsfeuerwerk im fast schon überfüllten Film-Theater (an die 600 Besucher) in Wissen. Fünf Stunden lang wurden die Fastowendsgecken mit Büttenreden und Gesangsvorträgen, die wahre Lachsalven hervorriefen, von den heimischen Karnevalsgrößen bestens unterhalten. Höhepunkt des Abends war die feierliche Proklamation des neuen Prinzen „Heinz Josef I. Bender“. Präsident Hubi Deipenbrock wies in seiner Ansprache auf die 100-jährige Tradition des Wesser Fastowends hin, die im gleichen Sinne fortgeführt werde. Ein weiterer Glanzpunkt der Sitzung war unbestritten der Gardetanz der neu gegründeten Prinzengarde.

ANMERKUNG
In den Jahren 1953, 1954 und 1955 war Kunigunde Herrmann Funkenmariechen der KG aber ohne Prinzengarde. Sie und ein Herold sowie der Elferrat begleideten den Prinzen.

RANDNOTIZ
Die Mitglieder der neu gegründeten Prinzengarde trafen sich, nicht nur zur Karnevalszeit, sondern auch im Laufe des Jahres an einem Stammtisch. Daraus gründete sich schon bald ein Kegelklub, der annähernd vier Jahrzehnte bestand. Nach der Auflösung des Kegelklubs hat man sich nicht aus den Augen verloren. Einige von ihnen treffen sich heute noch (wieder) an einem Stammtisch. Karnevalistisch gesehen wechselte manches Mitglied der Prinzengarde später in den Elferrat der Wissener Karnevalsgesellschaft. Einige von ihnen waren zudem jahrelang auch im Vorstand der KG tätig und prägten somit auch den Wesser Fastowend.

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Proklamation von Prinz Heinz Josef I. Bender

Bemerkenswert war es schon, dass nicht nur der damalige Südwestfunk, zuständiger Sender für Rheinland-Pfalz, anwesend mit einem Übertragungswagen, die Jubiläumssitzung aufzeichnete und Ausschnitte einige Tage später über den Äther schickte, sondern auch der Westdeutsche Rundfunk in Köln, dessen Sendebereich Nordrhein-Westfalen umfasst, mehrere Büttenreden in seinem Abendprogramm sendete.

ANMERKUNG
Die Fastowendssitzungen wurden in den Jahren von 1953 bis 1960 im Film-Theater (Kino) abgehalten. Ausgenommen im Jahr 1959 konnten keine Fastowendsitzungen abgehalten werden, da das Kino wegen Renovierungsarbeiten nicht zur Verfügung stand und in Wissen keine geeignete Räumlichkeit zur damaligen Zeit für Sitzungen vorhanden war.

Ein weiterer Höhepunkt des Jubiläums war der Fastowendszuch am Fastowendsdiensdach. Tausende von Menschen waren nach Wissen gekommen, um sich den prächtigen närrischen Umzug anzuschauen.

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Ein prächtiger Fastowendszuch zog am Fastowendsdiensdach durch die Straßen von Wissen.

Mehr über den Wissener Karneval in den 1950er-Jahren wurde im Bildband „Mer feijern werer Fastowend“ beschrieben.
Der Bildband ist aber nicht mehr erhältlich. So wie diese beiden Beiträge, werden zu gegebener Zeit, weitere Auszüge aus dem Bildband auf dieser Homepage veröffentlicht.


Dat Elschen ous d’r Altstadt

Als Servierfräulein in der Fastowendsbütt begeisterte Else Steilen das närrische Publikum. Neben ihr Herold Herbert Theis.

Im Wesser Fastowend gab es vor siebzig Jahren eine Besonderheit. Nicht nur die Männer stiegen in die Fastowendsbütt, auch gab es da in Wissen eine Frau, die als Büttenrednerin in die Männerdomäne eingebrochen war.

Else Steilen war die Frau, die in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre die Bütt eroberte. In ihren Vorträgen nahm sie die Kleinigkeiten des Alltags aufs Korn, gewürzt mit einer gehörigen Portion Lokalkolorit. So war sie unter anderem als Servierfräulein und Frau aus dem Winterschlussverkauf zu sehen und zu hören.

Nicht nur bei der Wissener KG war Else Steilen eine gefragte Büttenrednerin, sondern auch bei anderen Karnevalsfeieren. Die Aufnahme zeigt sie als Frau aus dem Schlussverkauf, bei einer Sitzung im Heckenbückersch Saal en Schünsten.
Ein Blick ins Fotoalbum der Familie Steilen. Karl Steilen, Altkarnevalist der Fildelen Altstädter, mit seinen Töchtern Maria (links) und Else. Ein Prosit auf den Wesser Fastowend.

Else Steilen stammte aus einer Wissener Familie mit stark karnevalistischer Prägung. Treibende Kraft einmal in die Bütt zu steigen war ihr Vater Karl Steilen, ebenfalls karnevalistisch nicht untätig. Sie dazu ermutigt und die Idee ihres Vaters unterstützt, hatte Emil Schupp, der in Wissen in den 1920er- und 1930er-Jahren bekannt als Büttenredner war. Er war es auch, der sie
beim Schreiben der Büttenreden beraten hatte. Als  „Dat Elschen ous d‘r Altstadt“, wurde sie liebevoll genannt und bei den Fastowendsveranstaltungen angekündigt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Familie Steilen in der Altstadt wohnte, und, nebenbei bemerkt, dort eine Bäckerei betrieb.
Ihre Fastowendskarriere beendete sie zunächst 1956. Ab Anfang der 1970er-Jahre war sie wieder als Büttenrednerin und Präsidentin beim Frauenkarneval der Wissener kfd aktiv.

Über PEN 74 Artikel
Paul Eberhard Nilius, Jahrgang 1950, ist gelernter Schriftsetzer und seit einigen Jahren als Journalist und Fotograf tätig. Seine Leidenschaft ist die Musik.