Wissener Funkenmariechen in den 1950er-Jahren

Erst ab dem Jahr 1953 gibt es im Wesser Fastowend Funkenmariechen. Jedenfalls vor dem Zweiten Weltkrieg und in den Jahren 1950, 1951 und 1952, waren im Gefolge des Prinzen, außer dem Elferrat und dem Ältestenrat, die Altstadtliesel. Diese wurden von Männern in Frauenkleidern dargestellt. Der Ursprung dieser Darstellung liegt in der Wissener Altstadt. Wie es dazu kam ist nicht schlüssig festzustellen.
Führende Köpfe im Wesser Fastowend beschlossen, dass zukünftig ein Funkenmariechen und ein Herold den Prinzen begleiten soll und nicht mehr zwei Männer in Frauenkleidung. Wenn es auch der Historie entspricht, wäre dies wohl nicht mehr angebracht.


ANMERKUNG
Im Kölner Karneval war es in früher Zeit üblich, dass das Funkenmariechen und die Marketenderinnen von Männern dargestellt wurden. Erst seit 1936 gibt es weibliche Funkenmariechen.
Ob es da einen Zusammenhang oder eine Verbindung nach Köln gab und daraus in Anlehnung an die Marketenderinnen die Wissener Darstellung der Altstadtliesel sich entwickelt hatte, ist nicht bekannt beziehungsweis konnte bisher nicht definitiv belegt werden, wäre aber durchaus denkbar.


Die Suche nach einem Funkenmariechen ging manchmal mit kuriosen Begebenheiten einher.

Für die Session 1953 wurde also ein Funkenmariechen gesucht. Intern war ein Hinweis beim Vorstand der Wissener Karnevalsgesellschaft (KG) eingegangen, dem auch nachgegangen wurde.

Kunigunde Herrmann mit Herold Kurt-Willi Schmalenbach

Kunigunde Herrmann war in der Chorprobe im damaligen Gasthof Ehlgen. Dort erhielt sie einen Anruf mit der Bitte, nach Hause zu kommen. In der Wohnung erwarteten sie Hubi und Seppl Deipenbrock sowie Josef Langenbach. Diese drei gewichtigen Personen im Wesser Fastowend hatten bei ihrer Mutter schon um das Einverständnis angefragt, (suzesan vürjeglüht) ob ihre Tochter Funkenmariechen in der kommenden Session werden dürfte. Diese Frage an Kunigunde gerichtet, bat sie um eine Bedenkzeit und gab dann ihre Zusage. Somit war Kunigunde Hermann das erste Funkenmariechen im Wesser Fastowend und blieb es drei Jahre, von 1953 bis 1955. Vom Hofschneider der KG, Otto Wilmenroth, wurde ihr ein passendes Funkenmariechenkostüm genäht. Ihr zur Seite stand Herold Kurt-Willi Schmalenbach.

Funkenmariechen Kunigunde Herrmann

Die Nachfolgerin von Kunigunde Herrmann wurde im Jubiläumsjahr 1956 Ursula Ehlgen. Sie war direkt darauf angesprochen worden, ob sie nicht Funkenmariechen werden wolle.

Die neu gegründete Prinzengarde mit Funkenmariechen Ursula Ehlgen bei einem Besuch im Kindergarden.

Die neu gegründete Prinzengarde stand für die Jubiläumssession parat, was fehlte war ein Funkenmariechen. Kurzerhand hatte Hubi Deipenbrock, der damalige Präsident der Wissener Karnevalsgesellschaft, Ursula Ehlgen gefragt: „Wellst‘ de net et Funkenmariechen machen?“ Nach einem Gespräch und einer kurzen Bedenkzeit sagte sie dann zu.

Funkenmariechen Ursula Ehlgen und Präsident Hubi Deipenbrock beim Fastowendszuch 1956.

 

Fototermin auf dem Marktplatz im Jahre 1957 mit Prinz Reinhold II. Röttgen, Präsident Hubi Deipenbrock, Funkenmariechen Monika Böhmer und Tanzoffizier Alex Taditsch. Die Prinzengarde präsentiert unter dem Kommando von Alfred Kesselheim.

 

Die Prinzengarde und Funkenmariechen Monika Böhmer mit ihrem Gardetanz im Jahr 1957. Er wurde auf die Melodie des Marschliedes „Rheinlandmädel“ getanzt.

 

Einzug der Prinzengarde mit Funkenmariechen Rosel Karas im Jahr 1958.

 

Funkenmariechen Rosel Karas mit Tanzoffizier Alex Taditsch

 

Im kommenden Jahr 1959 fiel der Fastowend in Wissen aus. Das Kino stand wegen Renovierung nicht zur Verfügung und auch sonst gab es keine geeignete Räumlichkeit in Wissen, um eine Sitzung abzuhalten.

 

Prinz Arno I. Stahl, Prinzengarde und Funkenmariechen Roswitha Klein im Jahr 1960.

Für die Session 1960 war wieder die Suche nach einem geeigneten Funkenmariechen angesagt. Eine Lösung war da schon in Sicht und das kam so:

Die Suche nach einem geeigneten Funkenmariechen ging oftmals mit einer gehörigen Portion Überredungskunst einher. Dies war auch im Jahr 1960 so. Der Termin der Prunksitzung rückte immer näher und die Prinzengarde hatte noch kein geeignetes Funkenmariechen. Binnen weniger Tage musste nun ein Tanzmariechen gefunden werden.

Die Inhaber des Wissener Textilkaufhauses Wagener, Hans-Paul Wagener und Reinhold Röttgen, waren stark in das karnevalistische Geschehen eingebunden. Reinhold Röttgen war Prinz des Jahres 1957. Auf Grund der prekären Situation kam man bei der Suche nach einem Funkenmariechen bei „Wageners“, wie das Kaufhaus in Wissen kurz genannt wurde, auf  eine ungewöhnliche Idee. Die jungen Verkäuferinnen wurden zusammengerufen mit der Aufforderung: „Döt mol all dern Rock wat hühjer. Ihr hat doch och all schüne Ben. Ener von euch künnde doch good dern Posten als Funkenmariechen üwernemmen.“ Soweit kam es aber gar nicht, denn eine der Verkäuferinnen, Roswita Klein, wurde direkt angesprochen: „Roswitha du künnst dat ejentlich maachen.“ „Natürlich träumt man als Mädchen davon, einmal Funkenmariechen zu sein“, erinnert sie sich. Sie wusste aber nur zu gut, dass ihre Eltern damit nicht einverstanden waren. Kurzentschlossen fuhren Reinhold Röttgen und Hans-Paul Wagener in der Mittagspause zu Roswithas Eltern, um sie mit Engelszungen davon zu überzeugen, dass ihre Tochter prädestiniert für den Posten des  Funkenmariechens sei. Zudem wurde der damals amtierende Bürgermeister  Franz Schindler mit eingebunden. Mit der Involvierung der Amtsperson bekam das Vorhaben einen offiziellen Charakter und die Eltern gaben ihre Zustimmung. In aller Eile, es war Donnerstag und am Samstag war die Prunksitzung, musste der Auftritt einschließlich des Tanzes mit der Prinzengarde einstudiert werden. „Und irgendwie“, erzählt das ehemalige Funkenmariechen noch heute ganz begeistert, „hat das alles wunderbar hingehauen.“

Parade mit Funkenmariechen Roswitha Klein und Kommandant Hermann Josef Brück. Dies sollte auch der letzte Auftritt im Kino sein. Danach stand das Kino für Fastowendssitzungen nicht mehr zur Verfügung.

RANDNOTIZ:

Das alte Wissener Kino mit dem Namen „Film-Palast“ befand sich bis 1945 in der heutigen Marktstraße. Hier wurden jedoch nie Fastowendsitzungen abgehalten. Beim großen Bombenangriff am 11. März 1945 wurde das Kino zerstört. Im August 1948 eröffnete das neue Kino mit dem Namen „Film-Theater“ im Richtweg, ausgestattet mit 500 Sitzplätzen, Logenplätzen auf einer Empore und Einzellogen. Nach einiger Zeit erfolgte der Anbau einer Bühne. Durch diese Erweiterung war eine vielfältigere Verwendung des Kinos möglich, wie beispielsweise für Orchesterkonzerte und Theateraufführungen. Von 1953 bis 1960 fanden auch die Karnevalssitzungen der KG im Kino statt, da sich in der Ortsmitte von Wissen keine andere geeignete Räumlichkeit dafür bot. Heute hat das Kino schon seit Jahrzehnten seine Pforten wieder geschlossen. Jetzt befindet sich dort ein Discount-Lebensmittelmarkt.


Dieser Beitrag enthält Auszüge aus dem Bildband „Mer feijern werer Fastowend“, der aber nicht mehr erhältlich ist.

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Paul Eberhard Nilius, Jahrgang 1950, ist gelernter Schriftsetzer und seit einigen Jahren als Journalist und Fotograf tätig. Seine Leidenschaft ist die Musik.